Montag, 16. Juni 2014

Der muffe Moosgnom (Wort zum Montag)

Immer muff guckt er mir von seiner Mooswand beim Joggen zu und entreisst mich meinem Muff-Sein und provoziert ein Lächeln.
Denn "muff" ist laut Hugo Loetscher ein unübersetzbares Schweizer Wort:
"Natürlich kann man das Wort in Andeutung übertragen. Das Wörterbuch schlägt für diesen Fall 'übelgelaunt' vor. Aber wir sind nicht einfach muff, weil uns etwas über die Leber kroch, wie wir zu sagen pflegen, oder weil wir mit dem linken Bein aufgestanden sind. ... Nein, unser Muff-Sein ist durch keine Meteorologie des Augenblicks bestimmt. Es ist nicht ein Ergebnis der Umstände. Unserem Muff-Sein eignet Grundsätzliches. Wir sind im Prinzip muff. ... Wir wissen nur allzugut um die Unzulänglichkeit des Lebens, um das Defizitäre allen menschlichen Daseins. Man kann sich arrangieren und einrichten so gut und soviel man will, plötzlich tritt das Unvorhergesehene ein, und unversehens ist alles anders. Also sehen wir uns vor. Wir wappnen uns, indem wir muff sind. Muff-Sein ist eine Präventivmassnahme, eine Form von Mut, eine Tapferkeit, die als Missmut die Welt besteht. Was manchen als üble Laune vorkommt, ist mehr. ... Darum halten wir auch Ausschau nach allem, was sich nicht ins Bild fügt oder nicht in die Ordnung passt. In der Hinsicht hat uns noch kein Alltag und noch keine Weltgeschichte enttäuscht. Wenn wir auf etwas stossen, das nicht aufgeht, das noch in Ordnung gebracht werden müsste... - dann steigt ein Jauchzer in uns hoch: 'Wir haben es ja gesagt' und 'wir haben es schon immer gewusst'.
Das sind die Momente, in denen unsere zerbissenen Minen sich lockern. Eine flüchtige Heiterkeit zieht übers Gesicht. ... Erneut sind wir gewappnet für die Unbill des Lebens und halten zugleich hoffnungsvoll Ausschau nach allem, was uns für einen lichten Moment unser Muff-Sein bestätigt."

Hugo Loetscher, Über das Muff-Sein, in: ders., Der Waschküchenschlüssel oder Was - wenn Gott Schweizer wäre, Zürich 1988

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